Exklusiv: Flug in einer Propellermaschine von Hamburg nach Nürnberg - WELT (2024)

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Eigentlich wirkt Flug FRC 014 von Hamburg nach Nürnberg wie eine ganz normale Linienverbindung: An Gate A21 im Terminal 2 wird sie angezeigt, mit Flugnummer, Ziel und Abflugzeit. Nicht ganz passend ist das Foto auf dem Monitor: Es zeigt einen Airbus 380, das größte Verkehrsflugzeug der Welt. Doch dieser Linienflug wird nicht mit einem Jet durchgeführt, sondern mit einem winzigen Propellerflugzeug.

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Der Wartebereich vor dem Gate ist so gut wie leer, denn es fliegen nicht mehrere Hundert Leute wie in einem Airbus oder einer Boeing mit – Flug FRC 014 hat Platz für maximal zwei Passagiere. Weshalb vor dem Abfluggate, von wo aus sonst Busse die Gäste zur Abstellposition auf dem Vorfeld bringen, heute ein schwarzer Van wartet.

Der fährt den einzigen Passagier quer über das Vorfeld dorthin, wo die Gulfstreams und Cessna-Citation-Geschäftsreiseflugzeuge stehen. Dazwischen ein kleines, zweimotoriges Flugzeug mit langen Tragflächen und einem hochbeinigen Einziehfahrwerk, das wie eine bruchgelandete Ente aussieht.

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„Manchmal schlucken die Passagiere schon, wenn sie unseren Flieger sehen“, sagt Kapitän Daniel Brandhuber. Dafür haben sie gut 600 Euro für ein One-Way-Ticket gezahlt? Um ohne Klimaanlage, Druckkabine und Düsenantrieb durch Wind und Wetter von Nord- nach Süddeutschland zu reisen?

Im Leichtflugzeug haben zwei Passagiere Platz

Tatsächlich liegen Welten zwischen einem Linienjet und diesem viersitzigen Vögelchen des Franconia Air Service aus Nürnberg, der die Strecke seit vergangenem Oktober anbietet. Im Leichtflugzeug DA42 der österreichischen Firma Diamond können zwei Fluggäste mitfliegen, die vorderen Sitze belegen die beiden Piloten. „Paxe“, wie die Passagiere im Luftfahrtjargon heißen, klettern über die Tragflächen auf die Rücksitzbank. In der Sitztasche liegt eine Flasche Wasser bereit. Mehr Service gibt es nicht.

Die Piloten haben – natürlich – eine Verkehrsflugzeugführerlizenz und fliegen nach Instrumentenflugregeln. Der Betrieb ist beim Luftfahrt-Bundesamt zugelassen und wird regelmäßig überprüft. Franconia Air Service gehört zu den Mini-Airlines im Lande, die Passagiere noch mit Kolbenmotor-Flugzeugen befördern. Die meisten pendeln auf Kurzstrecken zwischen der Küste und den Nordsee-Inseln hin und her (siehe unten).

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Die Airline für Business- und Privatflüge mit Sitz bei Nürnberg ist der einzige Anbieter, der eine so weite Strecke mit einem verhältnismäßig kleinen Flugzeug im Linienverkehr absolviert: 462 Kilometer beträgt die direkte Luftlinie von Hamburg nach Nürnberg. Mit dem Auto beträgt die kürzeste Route 643 Kilometer, was rund sechseinhalb Stunden dauern würde. Die Deutsche Bahn braucht, sofern ihr ICE pünktlich ist, knapp fünf Stunden.

Die berechnete Flugzeit beträgt heute eine Stunde und 38 Minuten. Die Zeitersparnis ist also enorm. „Alles klar?“, fragt Kapitän Brandhuber. Klar! Das Abenteuer kann beginnen, und der Pilot lässt die beiden Dieseltriebwerke mit je 170 PS an – die Kolbenmotoren stammen eigentlich aus der Automobilbranche und wurden für den Einsatz in der Luft umgebaut.

Jeder an Bord hat einen Kopfhörer auf, sodass die Passagiere den gesamten Funkverkehr mithören können. Unser Rufzeichen heißt heute „Franconia one four“, analog zur Flugnummer. „Ready for taxi“, bestätigt der Copilot, und wir rollen über den Taxiway „Golf“ zum Haltepunkt für die Startbahn 33. Dann sind wir „cleared for take-off“, heben mit etwa 130 Stundenkilometern ab und lassen Hamburg unter uns.

Der Autopilot steuert das Flugzeug

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Ganz frei wie ein Vogel ist „Franconia one four“ nicht. Am Boden weiß jeder zuständige Lotse, wo wir sind und wo wir hinwollen. Vorher hat die Crew einen Flugplan aufgegeben, der uns über einen genau vorgegebenen Weg auf eine Luftstraße Richtung Nürnberg führt. Diese Routen ähneln Anschlussstellen an einer Autobahn. Unsere heute genutzte heißt „Amluh One Golf“, die Route führt uns Richtung Nordwesten an ein paar Wegpunkten vorbei in einer langen Rechtskurve gen Süden.

Diese Strecke ist, bis zur Landung, bereits im „Navi“ der DA42 hinterlegt. Die Instrumentierung stammt vom Hersteller Garmin, der seine satellitengestützten Navigationssysteme auch für die Luftfahrt anbietet. Kurz nach dem Start schaltet der Kapitän den Autopiloten ein, der die Strecke dann selbstständig abfliegt. Die beiden Flugzeugführer haben dadurch erkennbar wenig zu tun, sie funken hin und wieder und haben Zeit zum Plaudern.

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Die DA42 steigt auf 9000 Fuß, gut 2700 Meter, und bleibt dort – würden wir höher klettern, müssten wir wegen der fehlenden Druckkabine Sauerstoffmasken aufsetzen. Das versuchen die Piloten zu vermeiden.

An diesem Tag ist das Wetter sehr gut; „Florida“ sagen Luftfahrer dazu. Das Abendlicht färbt die norddeutsche Landschaft in ein tiefes Orange, wir schweben über ein paar Wolken, unten ist Hannover zu sehen. Die Lichter der Städte und Dörfer erglimmen, auf den Straßen sind die ersten Autoscheinwerfer zu erkennen. Wir steuern auf den Wegpunkt TURAP bei Erfurt zu, einen von einer Handvoll Wegmarken des Flugplans. Unsere Geschwindigkeit beträgt 167 Knoten, das entspricht 309 km/h.

Fliegen ist eine Horizonterweiterung

So in etwa muss es gewesen sein, als die ersten Fluggäste der Deutschen Luft Hansa in den 1920er-Jahren anfingen, Flugzeuge zu nutzen. Die Fluggesellschaft flog damals zum Beispiel von Berlin über Danzig nach Königsberg oder von Hamburg über Hannover und Frankfurt nach München. Die Flugzeit vom Norden in den Süden dauerte ungefähr so lange wie heute die Fahrt mit dem ICE – und war mangels Satellitennavigation und präzisen Wettervorhersagen deutlich abenteuerlicher.

Der französische Schriftsteller und Pilot Antoine de Saint-Exupéry, der Postflieger und Militärpilot war, hat diese Stimmung im 1939 erschienenen Buch „Wind, Sand und Sterne“ so eingefangen: „So stellt auch das Flugzeug, das Werkzeug des Luftverkehrs, den Menschen allen alten Welträtseln gegenüber und wird uns zum Werkzeug der Erkenntnis und der Selbsterkenntnis.“ Die verstreuten Lichter, lebenden Sternen gleich, sind für Saint-Exupéry Zeugen des Wunders des menschlichen Bewusstseins.

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Hält man es mit dem Schriftsteller, wird klar: Fliegen ist im Wortsinn eine Horizonterweiterung, der Blick von oben auf das große Ganze. An Bord so einer kleinen Maschine, bei jedem Rütteln und Ruckeln, wird einem viel klarer als an Bord eines Riesenjets, was für ein gewaltiger Schritt die Erfindung des Flugzeugs für die Menschheit war, eigentlich ein Wunder.

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Zu Zeiten Saint-Exupérys dürfte neben der Faszination stets auch die Angst mitgeflogen sein, denn ein damals nicht seltener Motorausfall hätte ein dramatisches Ende eines Fluges bedeuten können. Wie gut, dass es in der DA42 zwei Motoren gibt, und dass die Technik heutzutage viel sicherer ist.

Übles Wetter setzt kleinen Maschinen härter zu

Sind Piloten noch Helden? Fliegen mag wie die heroische Überwindung von Grenzen wirken. Tatsächlich geht es dabei ständig um Grenzen: Denen des Flugzeugs und seinen Limits, denen der Crew oder denen, die das Wetter setzt.

Manchmal ist es nämlich auch übel: Gewitter, niedrig hängende Bewölkung oder Vereisung setzen einem so kleinen Flieger deutlich härter zu als einem großen Jet. Zum Glück ist die DA42 zuverlässig – „wir haben erst einen Flug absagen müssen, und da sind die Großen auch nicht geflogen“, sagt Kapitän Brandhuber.

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Wir haben inzwischen TURAP überflogen und steuern auf den nächsten Wegpunkt zu, ein virtuelles Leuchtfeuer, das niemand sieht und nur aus Koordinaten besteht: DN462, kurz vor Nürnberg. Der Tag verschwindet langsam, der feuerrote Abendhimmel wirft das letzte Licht übers Land.

Am Flughafen Nürnberg ist kaum etwas los, schon Minuten vor dem Aufsetzen sind wir „cleared to land“. Die im Vergleich zum Jet längere Flugzeit macht Franconia wett: Ein- und Aussteigen dauert etwa so lange wie beim Autofahren, und am Gepäckband warten muss auch niemand. Aber warum fliegen so wenige mit?

Der Geschäftsführer der kleinen Linie, Thomas Müller, nennt einen Grund: Der Flug ist nicht im für Reisebuchungen wichtigen Buchungssystem Amadeus vertreten. „Wir möchten da rein und haben schon Dutzende E-Mails geschickt. Aber da reagiert niemand.“ Der Airline-Chef will trotzdem weitermachen. „Das wird noch“, glaubt Müller. „Wir brauchen nur eine Handvoll Leute, die früher mit Eurowings geflogen sind.“

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An mangelndem Passagierinteresse kann es eigentlich nicht liegen: Die Verbindung Hamburg–Nürnberg wurde von Eurowings mit ein paar Unterbrechungen zwischen 1996 und 2022 nonstop bedient. Der vergleichsweise hohe Preis dürfte ein weiterer Grund für die verhaltene Nachfrage sein.

Passagiere sollten, neben ausreichendem Budget, ein bisschen Begeisterung fürs Fliegen mitbringen – oder gewillt sein, sich von der Atmosphäre an Bord anstecken zu lassen. Sie könnten es mit Saint-Exupéry halten, der einst über Flieger schrieb, was auch für Passagiere gelten kann: „Ein guter Pilot beobachtet immer sein Flugzeug. Ein großartiger Pilot beobachtet immer den Himmel.“

Weitere Informationen zu Mini-Fluggesellschaften:

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Franconia Air Service verbindet im Liniendienst mit Propellerflugzeugen Nürnberg unter anderem mit Hamburg, Düsseldorf, Bremen, Saarbrücken und Wien (franconia-air-service.de).

Andere kleine Flugunternehmen bedienen vor allem die Inseln in der Nordsee. So fliegt die Mini-Gesellschaft FLN Frisia-Luftverkehr von Norddeich aus nach Juist und Norderney und bedient die Linie Harle-Wangerooge (inselflieger.de). Der Ostfriesische Flugdienst pendelt zwischen Emden und Borkum und bietet Flüge von Büsum und Cuxhaven nach Helgoland an (fliegofd.de). Sylt Air bringt Fluggäste mit einer gemischten Flotte von ein- und zweimotorigen Maschinen von Deutschlands nördlichster Insel nach Hamburg; sie setzt für Charterflüge auch zwei Jets ein (syltair.de).

Insgesamt sind beim Luftfahrt-Bundesamt 102 Flugbetriebe registriert – von der Lufthansa bis zur Ein-Flugzeug-Airline.

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