Der Lockdown muss Andersons Phantasie zusätzlich beflügelt haben. Aus seiner neuen Komödie kann man viel über amerikanische Mythologie herausfiletieren. Hauptattraktion sind ungefähr zwanzig Hollywoodstars, die sich auf ein paar genau abgezirkelte Zentimeter verteilen.
Andreas Scheiner
4 min
Regisseure sehen oft aus, wie man sich vorstellt, dass Regisseure aussehen: seit einer Weile nicht mehr rasiert, unsportlich, ein bisschen unaufgeräumt.
Es gibt die, die daherkommen wie «verrückte Professoren», Kubrick war so einer. Und auf der anderen, etwas bürgerlicheren Seite kennt man die Filmemacher, vorzugsweise mit Baseball-Cap, die an typisch kalifornische Dads erinnern, Spielberg, Eastwood: Das ist so der klassische Amerikanischer-Regisseur-Look.
Filmemacher, zumindest männliche, die wirklich Stil haben, sind rar. Was interessant ist, denn ein Filmer versteht sich doch eigentlich aufs Visuelle. Fehlender Sinn für das eigene Auftreten muss nicht zwingend auf die Arbeit abfärben. David Fincher zum Beispiel macht sehr stylische Filme. Aber umgekehrt kann man davon ausgehen, dass ein Filmemacher, der massgeschneiderte Anzüge trägt, auch Filme nach Mass dreht.
Zwischen Auteur und Kolonialist
Wie eben Wes Anderson. Anderson, vollkommen klar, macht nicht nur die stilbewusstesten Filme. Er sieht auch aus wie sie: augenzwinkernder Retro-Look, irgendwo zwischen Auteur und Kolonialist. Ein sympathisch verschrobener, hagerer Gentleman, bevorzugt im samtenen Anzug, farblich vielleicht Kupfer oder Senfkorn, vor apricotfarbenem Hintergrund.
Der Stilwille schlägt bei Anderson unmittelbar auf die Arbeit über. Vom Kostüm über das Szenenbild bis zur oftmals sehr pastelligen Farbkorrektur folgt alles einem ausgeklügelten Geschmackskonzept. Und im hintersten Bildwinkel gibt es garantiert immer noch ein Accessoire zu entdecken, eine kleine Aufmerksamkeit für den besonders konzentrierten Zuschauer.
Wes Anderson ist ein ganzheitlicher Regisseur. Formbewusst wie kein zweiter. Andere inszenieren Filme, Anderson zirkelt sie ab. Jeder Kameraschwenk – wie mit Geodreieck und Wasserwaage berechnet. Die Akribie ist staunenswert, und «Asteroid City», sein elfter Film, ist sein allerakribischster. Allerdings ist nicht nur vor der Kamera jedes Detail gewissenhaft, wenn nicht zwanghaft geordnet: Das Drehbuch ist auch mirakulös verschachtelt. Zu verschachtelt? Die Handlung ist eine Handlung in der Handlung einer Handlung.
Die Haupthandlung spielt 1955 in Asteroid City, einem kulissenhaften Tupfer in der Wüste. Es gibt: einen Diner mit zwölf Hockern, ein Motel mit zehn Zimmern, eine Autowerkstatt mit einer Zapfsäule, eine Telefonzelle. Plus: eine Militärbasis, auf der man die Reste eines Himmelskörpers untersucht, der dem «Ort» den Namen gegeben hat.
Es treten, der Rezensent hat sie gezählt, 19 Hollywoodstars der A-Kategorie auf, unter ihnen Tilda Swinton, Bryan Cranston und Willem Dafoe. Zuvorderst aber Jason Schwartzman als ein in sich gekehrter Kriegsfotograf und Witwer mit vier hochbegabten Kindern. Die Familie ist auf dem Weg zum Schwiegervater (Tom Hanks) und macht für einen Wissenschaftswettbewerb in Asteroid City Halt. Wohin es zufällig auch die Star-Schauspielerin Midge Campbell (Scarlett Johansson) verschlägt. Während die Hobby-Astronomen mit dem Himmelskörper beschäftigt sind, bekommt der Witwer wegen dieser Campbell Sternchenaugen. Eine Romanze also.
Aber auch ein Science-Fiction-Stück: Denn die Sternguckerei führt zu einer Begegnung der dritten Art. Und ein listiger Gegenwartskommentar ist das ausserdem: Als in der Folge ausserirdischen Besuchs eine Quarantäne über Asteroid City verhängt wird, revoltiert der eine oder andere Gestrandete.
Marilyn Monroe und Ufo-Kultur
Von alldem wird allerdings über Bande erzählt. Es gibt als Rahmenhandlung ein schwarz-weisses TV-Format, in dem ein Moderator (Bryan Cranston) vom Making-of eines Theaterstücks namens «Asteroid City» berichtet. Edward Norton wird gezeigt als geplagter Autor, der sich mit der Erzählung abmüht, Adrien Brody als geplagter Regisseur, der sich mit der Inszenierung herumschlägt. Wobei wir das eigentliche Stück dann wiederum in einer Adaption zum Kinofilm sehen. Irgendwie so.
Wieso das umständliche Konstrukt? Wahrscheinlich weil Anderson den Film im Lockdown geschrieben hat: Man kann ihn als Parabel über das Geschichtenerzählen verstehen, eine Dehnübung für den Geist, der sich in den eigenen vier Wänden die vermissten Gemeinschaftserlebnisse Kino, Bühne und Filmemachen herbeiphantasiert.
Anderson lässt in durchaus vernünftigen 100 Minuten die uramerikanische Mythengeschichte vorbeiziehen. Verspielt nimmt er Ikonografisches aus der Geschichte des Hollywoodkinos auf, von Marilyn Monroe bis zu Motiven aus Western und Ufo-Kultur. Film- und Amerikanistikstudenten können das filetieren. Das Drehbuch ist mit Ideen verpresst. Was fehlt, ist ein wenig Luft zum Atmen.
Wes Anderson hat seine Methodik perfektioniert bis zur Pedanterie. Anderson-Apologeten sind verzückt. Die Strenge der Inszenierung ist zum Schmunzeln. Aber alles ist so penibel ausgemessen, es bleibt kein Zentimeter für Gefühle. Als kunstgewerbliche Fingerübung faszinierend, fehlt «Asteroid City» der emotionale Einschlag, der Stilbruch.
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